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Das Seelenlied der Himba: Wenn Du es vergessen hast

von Dez 15, 2020Impulsgeschichten

Eine wundervolle Geschichte über das Seelenlied im südafrikanischen Stamm des Hirtenvolks der Himba. Die Himba sind eines der letzten nomadischen indigenen Völker. Dort kommt jeder Mensch mit seinem eigenen Seelenlied auf die Erde.

 

Vom Seelenlied der Himba

Es heißt, im Stamm der Rinderhirten der Himba – im Nordwesten Namibias und im Süden Angolas – gilt als Geburtstag eines Kindes nicht der Tag, an dem es geboren oder empfangen wurde. Sondern der Tag, an dem das Kind zum ersten Mal als Idee im Kopf seiner Mutter war.[1] Wenn eine Frau beschließt, dass sie ein Kind empfangen will, geht sie aus dem Dorf. Sie setzt sich alleine unter einen Baum und lauscht in sich hinein, bis sie das Seelenlied des Kindes hören kann, das von ihr geboren werden will. Nachdem sie das Lied des Kindes gehört hat, kehrt sie zurück zu ihrem Mann, der Vater des Kindes sein wird. Sie lehrt auch ihn das Lied. Wenn sie sich dann lieben, um das Kind zu empfangen, dann singen sie als Einladung gemeinsam das Seelenlied des Kindes.

Wenn die Mutter schwanger ist, lehrt sie auch die Hebammen und die alten Frauen des Dorfes das Lied zu singen. So können alle Menschen um sie herum während der Geburt das Seelenlied des Kindes singen und das Kind begrüßen. Und dann, wenn das Kind aufwächst, lernen auch alle anderen Dorfbewohner dessen Lied. Wenn das Kind sich verletzt, wenn es fällt und etwa seine Knie schmerzen, schließt es jemand in die Arme und singt sein Seelenlied dazu. Wenn das Kind etwas Wunderbares tut, wenn es durch die Riten der Pubertät geht, wenn es heiratet – auch dann singen die Menschen des Dorfes sein Lied, um seine Seele zu ehren. In der Ehe singen die Partner ihre Lieder gemeinsam und füreinander.

Erinnerung an die Schönheit der Seele statt Bestrafung

In dem afrikanischen Stamm der Himba gibt es noch eine weitere Gelegenheit, zu der die Menschen im Dorf dem Menschenskind sein Seelenlied singen: Wenn es einmal einen Fehler oder gar ein Verbrechen beging, wird es in das Zentrum des Dorfes gerufen. Die Gemeinschaft lässt alle Beschäftigung stehen und liegen und bildet einen Kreis um es herum.[2] Und dann singen sie sein Lied. Jeder Mensch sehnt sich doch nach nichts mehr als nach Liebe, Zuwendung und Frieden. Der Stamm fühlt, dass ein unglückliches Verhalten nicht nach Bestrafung ruft, sondern nach Liebe und nach Erinnerung an die wahre Identität der Seele. Ein Freund, so sagen sie, ist jemand der das Lied deiner Seele singt, wenn du es selbst vergessen hast.[3]

Auf diese Weise geht das Kind im Volk der Himba bis ins hohe Alter durch sein Leben. Und wenn es eines Tages schließlich auf dem Sterbebett liegt, bereit, die Welt zu verlassen, dann kommen die Dorfbewohner zusammen und singen ein letztes Mal für es sein Seelenlied.

Lernen von den Himba

Wir moderne Menschen können viel von den Himba lernen. Wie Lieder die Seele berühren und wie sie Gemeinschaft stiften. Auch wenn wir unser Seelenlied nicht von unserer Mutter erhalten – Melodien und Harmonien prägen den Mensch ja auch in der westlichen Welt vom Mutterleib an. Sie berühren tief im Inneren. Gerade in einer von Verstand und von Sprache geprägten Welt gibt es nur Weniges, das auf so einfache Weise mit Glück erfüllen kann, derart präsent ist und einen so großen Einfluss auf das direkte Erleben von Emotionen, hat wie die Musik. Wenn einfache Sänger ihren ureigenen Ton finden, den Moment mitgestalten und sich ihre Stimmen im gemeinsamen Miteinander stützen und erheben, passiert ein Wunder. Das zeigt auf einmalig berührende Weise der Film Wie im Himmel von Kay Pollak…

In der Schul-Pädagogik wird derzeit experimentiert, wie es Gruppen gelingt, mit Regeln ohne strafende Konsequenzen auszukommen und so den Kooperationswillen zu stärken. Die Kinder werden begleitet, ihr Verhalten zu bedauern, in dem sie erkennen, was es bei anderen gemacht hat.

 

[1] Zum Seelenlied vgl. Cohen, Alan (2002): Wisdom of the Heart: Inspiration for a Life Worth Living, Kapitel 2: Sing your Song.

[2] Diese Zeremonie der Vergebung wurde ähnlich auch von Marshall Rosenberg von einem zentralafrikanischen Stamm im Nordosten von Sambia berichtet, den (Ba)Bemba: Alle im Dorf bilden einen Kreis um den Betreffenden und fassen sich an die Schultern. Wer sich anfasst, gehört zur Gemeinschaft. Nur der, der sich gegen das soziale Miteinander vergangen hat, muss alleine in der Mitte stehen. Dort wird er an seine guten Eigenschaften erinnert. Im Stamm müssen alle an einem Strang ziehen, Nahrung beschaffen und sich verteidigen. Resozialisierung vermeidet, dass die Gruppe nicht bei jedem Verstoß eines Mitglieds kleiner wird. Der “Bösewicht” muss es ertragen, dass ihm seine guten Eigenschaften zugerufen werden. Und reihum wird er in allen Einzelheiten an die Geschichten erinnert, was er schon alles an Gutem im Leben beigetragen hat, an alle seine positiven Eigenschaften, seine Stärken und seine Güte. Sie erzählen es ihm aufrichtig und voller Liebe, ohne zu übertreiben und ohne böse Gedanken.

Die Zeremonie geht solange, bis jeder im Dorf mitgeteilt hat, wie sehr er diese Person als Mitglied der Gemeinde schätzt und respektiert. Das kann mehrere Tage dauern. Nimmt er all das an, ist er wieder in die Gemeinschaft aufgenommen: Er gehört wieder dazu, und als erstes Zeichen reiht er sich in den Kreis ein und übt mit den anderen den Schulterschluss. Am Ende wird der Kreis geöffnet und miteinander gefeiert. Meist wirkt diese Form der Vergebung nachhaltiger und intensiver als jede Strafe.

[3] Interpretin: Dörte Badock, Text und Musik: Karl Adamek.


 

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