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Breithaupt, Fritz (1. Auflage 2009)

von Okt 1, 2012Buchtipps

Kulturen der Empathie. Erkenntnisse aus Psychologie, Kognitionswissenschaft, Literatur und Philosophie. Suhrkamp Verlag.

 

Für Veränderungen brauchen Führungskräfte die Fähigkeit zur Empathie. Mit diesem Fokus ist uns das unscheinbare Büchlein von Fritz Breithaupt in die Hände gefallen. Es berücksichtigt aktuelle psychologische und kognitionswissenschaftliche Erkenntnisse, die Literatur und Philosophie über Empathie und Mitleid. Und will verschiedene Kulturen der Empathie als sozialen Prozess beschreiben.

Ähnlichkeit und Einfühlung

Bedingung von Empathie ist z. B. Ähnlichkeit, weil wir nur aus eigener Erfahrung heraus erahnen können, wie sich der andere fühlt. Ähnlichkeit wird jedoch überschätzt, denn jeder Mensch nimmt die Welt auf eigene Weise wahr. Die Realität gibt es nicht, nur individuelle Wahrnehmungen der Realität. Empathie ist also stets subjektiv. Sie ist nicht mehr als die Vorstellung eines Beobachters, den anderen emotional und dessen persönliches Modell der Welt kognitiv zu verstehen. Egal wie gut sich etwa ein Paar über die Jahrzehnte kennt – der andere ist nie in Gänze zu erfassen. Und das ist gut: So bleibt stets eine gewisse Spannung.

Die Spiegelneuronen, die Theory of Mind und Überlegungen von Evolutionsbiologen zur sozialen Intelligenz des Menschen haben neue Diskussionen eröffnet. Sie haben Mechanismen zu Tage gefördert, die es uns erlauben, in die Haut der anderen zu schlüpfen. Diese geben uns erstaunliche Aufschlüsse und zeigen, dass Menschen als soziale Wesen gar nicht anders können, als mit anderen mitzufühlen, so Breithaupt in seinem Vorwort. Gesellschaftlich wird Empathie, das Einfühlen in den anderen, als Kitt gesehen, der die Gemeinschaft zusammenhält. Verbindung wird meist narrativ über Geschichten und Bilder hergestellt. Wenn eine Bereitschaft besteht, sich auf die Geschichte des anderen einzulassen, um durch ein Vorher und Nachher auf die Gefühle des anderen schließen können. So erregen z. B. hungernde Menschen in Afrika unser Mitleid, ohne eine zugehörige Geschichte aber nicht unser Mitgefühl. Es braucht die Möglichkeit zu verstehen, zu beobachten und Partei zu ergreifen, um mitfühlen zu können.

Parteinahme für andere

Für Breithaupt ist unser Verständnis von Empathie zu eng gefasst, wenn wir sie nur auf ein „In die Haut des anderen hineinfühlen“ auf einer bidirektionalen Ebene beschränken. Er entwickelt ein Modell für Empathie als Resultat einer Beziehung von mindestens dreien. In dieser ergreift etwa der Beobachter eines Konflikts mental für einen der beiden Kontrahenten Partei. Der Beobachter nimmt eine Reaktion bei sich wahr und wird beteiligt. Seine Passivität in der Handlung ermöglicht ihm die Aktivität der Beobachtung. So entsteht Empathie aus der Beobachtung und Wahrnehmung einer nicht-harmonischen Interaktion der zwei Parteien und ein mentales Partei ergreifen für eine der Seiten. Partei zu ergreifen fällt uns dabei leichter für Menschen mit Konturen als für Menschen ohne. Parteinahme folgt dabei diversen mentalen Prinzipien

  1. als strategische Entscheidung,
  2. durch bewertendes Aufrechnen, wer im Recht ist,
  3. durch Privilegieren des tendenziell passiveren Handlungsempfängers.

Ist Partei ergriffen, wird Bestätigung in den geschaffenen Bündnissen gesucht. Parteinahme ruft Empathie hervor und setzt so sekundär Emotionen und Affekte frei, die sich selbst bestätigen. Empathie wird zu einem Akt, der die spontane Parteinahme zeitlich verlängert. Sie schließt Konkurrenz zumindest kurzfristig aus und treibt damit die Festigung der Gemeinschaft voran, ohne dass dies etwas mit Ethik zu tun hat. So kann sie z. B. durch das Leiden eines anderen erkauft werden. Empathie verbindet Menschen miteinander, führt aber nicht zwangsläufig zu einer besseren Welt voller Mitgefühl. Breithaupts Untersuchung zeigt, dass Empathie ein wichtiges Bindeglied unserer auseinander strebenden Gesellschaft ist. Der Schluss, dass empathische Menschen automatisch moralisch gut sind, ist jedoch falsch. Breithaupts Ansatz der Empathie stellt so ein Erklärungsmodell dar, um die Mechanismen von Empathie zu durchleuchten. Eine spannende Lektüre.

Breithaupt, Fritz: Kulturen der Empathie. Suhrkamp Verlag, 2009.

 

Buchtipp – für noch mehr Inspiration

Heute wird immer weniger gelesen. Sich immer weiter zu bilden, hält den Geist wach – da würde es helfen, etwa von Zeit zu Zeit ein Buch in die Hand zu nehmen. Zum kleinen Preis erhalten Leser die über oft lange Jahre entwickelten Gedanken der Autoren zu einem Thema. Das ist ein Geschenk! Bewusst leisten auch wir einen Beitrag, Wissen zu vernetzen. Und je freier der Kopf und je offener wir dem Autoren und dem Buch gegenüber sind, um so leichter fällt es, sich auf neues Denken einzulassen und es zu hinterfragen. So gedeihen weitere Gedanken und tieferes Verstehen, wenn sich der Blick weitet. Dazu braucht es auch, sich Ruhe und Muse beim Lesen zu nehmen.

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