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Lerneinheit Stimmigkeit – Von Wesens- und Situationsgerechtigkeit

von Apr 15, 2017Blogs

Wie definiert sich Stimmigkeit bzw. Kohärenz dadurch, wesens- und situationsgerecht zu sein? Wie spiegeln Kommunikation und Verhalten innere Stimmigkeit? Wie gewinnt man Stimmigkeit?

 

Vier Felder der persönlichen Stimmigkeit

Wesens- und situationsgerecht sein

Stimmigkeit ist mehr als Authentizität. Kleine Kinder bis zum 3. Jahr – vor der Entwicklung des autonomen ICH Bewusstseins – verhalten sich in jeder Situation wesensgemäß, d.h. authentisch. Direkt so wie es ihnen emotional geht. Gehen Sie z.B. mit einem Kleinkind in den Supermarkt und verweigern Sie ihm ersehnte Süßigkeiten, dann erleben Sie es ganz authentisch. Situationsgerecht kann man den Wutausbruch mit Tränen, Gebrüll und sich mitten auf den Boden werfen nicht nennen. Welche Eltern bringen da den Mut auf, sich – ebenso wesensgerecht – daneben zu werfen und zu schreien, „Ich mag das auch nicht“ bis das Kind aufsteht, um dem seltsamen Verhalten des bis dato vernünftigen Erwachsenen ein Ende zu setzen…

Starke negative Emotionen sind Hinweise aus der Tiefe des Wesens, dass etwas den eigenen Werten und Bedürfnissen zuwider läuft. Die Wahrnehmung der inneren Regung ist eine Ressource. Sie zeigt die Verbundenheit mit sich selbst und weist darauf, dass im Hinblick auf die eigenen Werte und Bedürfnisse etwas verkehrt läuft. Ressource ist es jedoch v.a. solange sie nicht unreflektiert und impulsiv ausreagiert wird. Das wäre zwar authentisch wie beim Kleinkind, aber eben nicht der Situation angemessen. Mit unkontrolliert ausagierten Emotionen ist schnell Porzellan zerschlagen, das sich so leicht nicht mehr kitten lässt. Es ist daher nicht zu raten, emotional getriggert authentisch zu explodieren. Nach einer Nacht sieht die Sache nüchtern betrachtet doch oft wieder anders aus und dann lässt sich besser aus rationaler Distanz reagieren. Reflektiertes Verhalten ist meist fruchtbarer.

Darin, zwischen Reiz und Reaktion, einen Raum der Reflexion zu erzeugen, liegt die ganze Freiheit des reifen Menschen. Die Freiheit über sein Verhalten selbst bewusst zu entscheiden und darin seine persönliche Macht zu finden…

Sprich, wenn du wütend bist, und du wirst die beste Rede halten, die du je bereust.

Laurence J. Peter (1919-1990), Schöpfer des Peter Prinzip [1]

Menschen lernen in der Gesellschaft, sich situativ anzupassen. Nur verlernen sie dabei nicht selten einen wesensgemäßen Zugang zu den eigenen Emotionen und sich selbst. V.a. in neuen Rollen, in denen es noch an Orientierung fehlt, wird zuerst der situationsgerechte Zugang gesucht – meist über situativ passenden Rezepte und Anleitungen. Es folgen mehr oder weniger vergebliche Versuche, durch die Fülle der Ratgeber hindurch Klarheit zu finden und Wissen aufzubauen. Am Ende des Strebens nach situationsgerechtem Rezepten im Außen mag es einem wie Goethes Faust zumute sein, der in Faust I nach aller Studiererei einen schmerzlichen Mangel an Kohärenz und Stimmigkeit ausdrückt.

 

… das heißt im Schulz von Thun Modell stimmig bzw. kohärent sein

Der autonome innere Halt lässt erfahren, dass Außenleitung durch Wissen und Verstand alleine keine stimmige bzw. kohärente Führung ausmachen. Stimmigkeit bedarf beides: situationsgerecht passend und wesensgemäß authentisch zu sein.[2] So entfaltet die Persönlichkeit Reife und professionelle Wirkung. Das Lernfeld der Lebenserfahrung besteht darin, im Rahmen situationsadäquates Verhalten und Kommunikation authentisch zu sein.

4 Felder situationsgerecht
(außen)
nicht situationsgerecht
(außen)
mir wesensgerecht
(innen)
stimmig unstimmig (daneben)
nicht wesensgerecht
(innen)
unstimmig (angepasst) unstimmig (sonderlich)

 

Was könnte dann ein authentischer und situationsgerechter Umgang des Erwachsenen mit dem kleinen Kind im Supermarkt sein, das sich mit voller Energie für seine Bedürfnisse einsetzt? Ein Umdeuten der Stresssituation ist enorm hilfreich, um selbst entspannt zu bleiben. Oft stören Eltern sich viel mehr am Schreien der eigenen Kinder als Außenstehende es tun. Es gilt in jedem Fall, den eigenen Stress abzuschütteln und das Gute am authentischen Ausdruck des Kindes zu erfassen. Die Emotionen wechseln bei Kleinkinder von Moment zu Moment. Die Bedürfnisse wahrzunehmen und das Kleinkind zu trösten und dann den Fokus zu verlagern, ist eine wichtige pädagogische Fähigkeit, das Kind in seinen ersten Selbst Erfahrungen zu begleiten und sein Selbst Bewusstsein zu stärken.

 

Illusionen der Stimmigkeit

Stimmigkeit (Kohärenz) ist kein dauerhafter statischer Zustand, sondern muss in jedem Moment neu errungen werden. Unstimmigkeit ist für das Hirn Stress. Es ist immer bestrebt, Energie zu sparen. Daher schafft es mitunter auch die Illusion der Stimmigkeit durch

Fokus wird auf das gerichtet, was sich ins eigene Weltbild einfügt – ich kann nur “wahr” nehmen, was ich denken kann. Nach Humberto Maturana sind nur 15% unserer Sehnerven überhaupt mit der Außenwelt verbunden. So ist logisch, dass die Bilder, die wir sehen, in unserem Kopf erzeugt werden. Unser Hirn nimmt weiterhin ca. 11 Mio. Bits pro Sekunde auf. Aber nur 20-40 Bits (0,0002%) kann es im Bewusstsein verarbeiten. Zugleich können wir bewusst nur einen Gedanken zu einer Zeit denken. Unter Stress und Angst engt sich unsere Wahrnehmung noch weiter ein. Seitenreize werden immer mehr ausgeblendet. Im entspannten und achtsamen Zustand, lassen wir die Welt viel weiter in uns hinein, nehmen viele Dinge gleichzeitig auf unterschiedlichen Ebenen wahr und kommen so in einen kreativen zutiefst stimmigen Modus.

  • Kommt es trotzdem zu kognitiven Dissonanzen

… weil sich eine neue Kognition nicht in das bestehende Bild einfügt, so erzeugt das innere Spannung. Der Kopf ist unbewusst bestrebt, die Unstimmigkeit schnell möglich wieder aufzulösen. Dies gelingt etwa durch aktive Umdeutung von abweichenden Wahrnehmungen oder passiv dadurch, dass Nichtanschlussfähiges in der Regel nach 30 Sekunden wieder “vergessen” wird. Änderungen von Verhalten oder Haltung sind energieaufwändig und werden nur dann dringlich, wenn sich die kognitiven Dissonanzen nicht unterdrücken lassen.

Verdrängung von Unstimmigkeit funktioniert jedoch nicht. Wenn Wahrnehmungen aus dem Bewusstsein ins Unterbewusste verdrängt werden, setzen sie sich dort als Schatten fest und  finden ihren körperlichen Ausdruck. So wird dem achtsamen Gegenüber die Unstimmigkeit oft leichter bewusst als dem Betroffenen selbst.

 

Innere Haltung und stimmige Kommunikation

Vielen Organisationen ist die Bedeutung der Kommunikation ihrer Führungskräfte längst bewusst. Sie arbeiten an Rhetorik, Argumentation, Stimme. Dabei geht Kommunikation weit über die Worte hinaus. Menschen kommunizieren nonverbal mit Körpersprache, Stimmlage, Tonalität, Mimik und Gestik. V.a. senden sie unbewusst ständig Signale, die die innere Haltung transportieren. Die Signale geben den Ausschlag dafür, wie sie und damit auch der Inhalt des Gesagten ankommen. Alle äußeren Faktoren wie die Körperhaltung hängen von dem ab, was den Menschen im Inneren ausmacht und bewegt. Äußere und innere Haltung beeinflussen sich gegenseitig. Wirkung ist von daher erst dann wirklich zu verbessern, wenn die Kommunikation „stimmt” und mit der inneren Überzeugung übereinstimmt. Dissonanzen erfühlt das Gegenüber intuitiv. beim Gegenüber  Stimmigkeit, um nachhaltig wirksam zu kommunizieren, ist notwendige Kompetenz von Führung.

Stimmige Kommunikation hängt davon ab, ob wir das, was wir sagen auch fühlen. Ob es authentisch ist. Dann ist Kommunikation stimmig. Unstimmigkeit  kommt beim Anderen sofort an. Und dann bildet er sein Urteil zu über 90% eben gerade nicht anhand des sachlichen Inhalts, sondern v.a. durch die Entschlüsselung nonverbaler Kommunikation.[3] Der Andere sucht die verdeckte Botschaft hinter den Worten – das was ich über mich selbst verschweige. Verbale und nonverbale Botschaft sollen stimmig und kongruent mit der inneren Haltung, den Gefühlen, Bedürfnissen, dem Denken sein. Sonst beginnen wir Masken aufzusetzen, Fassaden zu pflegen und zu uns als Mensch in Distanz zu gehen. Dabei verlieren wir uns. Innere Haltung und nonverbaler Ausdruck unserer Körpersprache achtsam wahrzunehmen, ist dafür eine wesentlich Prävention.

Und damit ist Selbstreflexion heute v.a. in der Führung unabdingbar, wo es gilt sich über seiner Wirkung auf die Mitarbeitenden bewusst zu sein und nicht der Illusion der eigenen Stimmigkeit zu unterliegen. Dafür ist ein gutes Selbstwertgefühl wichtig, das das Wesen der Persönlichkeit ausmacht, sich selbst mit seinen Gefühlen und Bedürfnissen zu spüren und mit sich im Reinen zu sein. Wer aber mit sich selbst verbunden ist, der steigert in gleichem Maße seine Fähigkeit zur Empathie gegenüber anderen.

Interaktion von Innen und Außen

Wer sich situations- und wesensgerecht verhält und kommuniziert, wirkt vertrauenswürdig. Geht er zudem empathisch auf den Zuhörer ein, entstehen Resonanz und Verbindung. Das ist der Nährboden guter Kommunikation. Innere und äußere Haltung beeinflussen sich immer gegenseitig – bewusst und unbewusst. Wenn Sie etwa für ein paar Sekunden die Mundwinkel hochziehen und beobachten, wie sich Ihre Stimmung erhellt, merken Sie sofort wie auch der Körper auf die innere Haltung wirkt…

Wenn uns starke emotionale Regungen überkommen, lässt sich durch Fokus auf äußere Haltung vermeiden, impulsiven Kräften Ausdruck zu verleihen. Vor die Tür treten, tief durchatmen, Körperteile in kaltes Wasser tauchen, Herz- bzw. Pulsschlag fühlen etc. Spüren wir den Körper, holt uns das ins Bewusstsein für die Situation im Hier und Jetzt zurück.

 

Quellen:

[1] In der Literatur ist das Phänomen, dass die Beförderung von Mitarbeitern in die nächste Leitungsebene häufig mehr mit der Fachlichkeit der aktuellen Position als mit den Anforderungen der neuen Position zu tun hat, nach dem Urheber als „Peter-Prinzip“ bekannt. Vgl. Laurence J. Peter; Raymond Hull (1972) Das Peter-Prinzip oder die Hierarchie der Unfähigen, Kapitel 1. Vgl. Spitzer R. B. (2004): Gegen den Strom schwimmen: Die Herausforderungen des Gesundheitswesens. In: Drucker, Peter F., Paschek P. (Hrsg). Kardinaltugenden effektiver Führung. S. 133–146.

[2] Vgl. Schulz von Thun, Friedemann (1998): Miteinander reden, 3. Das Innere Team und situationsgerechte Kommunikation, Reinbek/ Hamburg.

[3] So z.B. Albert Mehrabian, der mit seinen Experimenten zur Bedeutung der nonverbalen Elemente menschlicher Kommunikation berühmt wurde. Sind Inhalt, stimmlicher oder mimischer Ausdruck miteinander inkongruent, so zieht der Zuhörer seine Information nur zu 7 % (!) aus dem sprachlichen Inhalt, zu 38 % aus dem stimmlichen Ausdruck und zu 55 % aus der Körpersprache. Daraus wurde die 7-38-55-Regel abgeleitet.

Spannendes zur nonverbalen Kommunikation von einem Zauberkünstler: Thorsten Havener: Ohne Worte – was andere über Dich denken


 

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