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Beispiel von Resozialisierung: Empathie ist erlernbar

von Sep 1, 2015Impulsgeschichten

Empathie ist erlernbar. Durch Einüben neuer Verhaltensmuster und So-tun-als-ob Rollenspielen ändern sich Haltungen. Die positiven Beispiel der Resozialisierung zeigen: Dann kommt es zu einer Veränderungskrise…

Veränderungen an Verhalten und Haltung

Veränderungen nachhaltig zu leben, ist kraftaufwändig. Überall lauern alte Gewohnheiten und Routinen, die schnell wieder in ihren Bann ziehen. Vielleicht werden Veränderungen mit viel Energie gut eingeführt – und nach wenigen Wochen schleichen sich alte Verhalten wieder ein. Die neuen Prozesse werden wieder umgangen. Noch herausfordernder ist da die dauerhafte Veränderung von Haltung. Geht das überhaupt? Ist z.B. Empathie erlernbar? Und wenn ja, was braucht es dazu? Wir wollen hierzu auf ein Positivbeispiel zurückgreifen: die Resozialisierung der Delancey Street Foundation.[1]

Schlechte Prognosen für Resozialisierung

Um die Tragweite des Beispiels einzuordnen, seien zunächst die Daten einer großen Studie mit 272.111 amerikanischen Strafgefangenen vorausgestellt: 30% der Haftentlassenen wurden bereits in maximal sechs Monaten und 67,5% innerhalb von drei Jahren rückfällig. Rechnet man die Dunkelziffer dazu, so liegt die Rate derer, die nicht mehr straffällig wurden, unter 30%. Ähnliche Daten kennt man aus der Suchttherapie. Angesichts der Zahlen fällt es schwer zu glauben, dass Resozialisierungen funktionieren können. In jedem Fall führen Bestrafungen alleine zu keinen neuen Optionen und so selten dauerhaft zu verändertem Verhalten. Und doch zeigt unser Beispiel, dass mit den nötigen Rahmen und der nötigen Hilfe möglich ist, dass Straftäter ihr Verhalten nachhaltig ändern und zu angesehenen Mitbürgern werden. Auch für Veränderungen in Organisationen lässt sich aus diesen Prinzipien lernen.

Was die Delancey Street Foundation in der Resozialisierung anders macht

Die Delancey Street Foundation in San Francisco nimmt Drogenabhängige und Schwerverbrecher aus staatlichen Gefängnissen auf. Diese haben die Wahl, ins Gefängnis zu gehen oder aber an dem Programm teilzunehmen. Die Bilanz der Foundation ist erstaunlich: 60% der Teilnehmer schaffen es, das mehrjährige Programm bis zum Schluss zu durchlaufen, und werden danach nicht rückfällig.

Die Straftäter in amerikanischen Gefängnissen haben oft eine lange Familienhistorie, die von Gewalt und Verbrechen durchzogen ist. Sie sind in Parallelgesellschaften in Gegenden aufgewachsen, die von Gewalt und Armut geprägt werden. Ein Umfeld, in dem Kindern oft nur bleibt, sich gegen all diese Bedrohungen emotional abzukapseln und abzustumpfen. Sie kennen es nicht anders. Und sie glauben nicht daran, dass es für sie ein anderes Leben geben kann. Wie sollten sie auch? Diese Straftäter haben so nicht gelernt, empathisch, mitfühlend zu sein. Gefühlskälte – und Betäubung mit Suchtmitteln, um nichts mehr spüren zu müssen – ist eine Form von Selbstschutz, die das Überleben in dem Umfeld möglich macht. So ist die Entwicklung von Empathie ein kritischer Erfolgsfaktor für nachhaltige Veränderung.

1. Fokus auf den einen kritischen Erfolgsfaktor: Empathie

Zuerst ist also der kritische Faktor zu finden, der verändert werden muss. Wir neigen dazu, in Veränderungen oft an zu vielen Stellschrauben zu drehen, anstatt uns nach guter Analyse den kritischen Faktor herauszufiltern und auf ihn zu fokussieren.

Empathie ist ja kein abgespultes Verhalten, sondern eine Haltung. Ist Empathie erlernbar? In der Delancey Street Foundation üben die Teilnehmer durch wiederkehrendes “So-tun-als-ob” Verhalten spielerisch Empathie ein – auch wenn sie sie zunächst gar nicht empfinden können. Dazu muss jeder Teilnehmer Verantwortung für einen anderen übernehmen. Wenn jemand z.B. in einem der Restaurants bisher noch nichts gelernt hat außer wie man Besteck auflegt, dann bringt er eben das einem Neuling bei. Das schafft Verbindung zwischen zwei Menschen. Zu Beginn sind die Sträflinge unmotiviert – viele kommen ins Programm, weil sie denken hier leichter durchzukommen als im Gefängnis. Doch das ständige Wiederholen eines Verhaltens, bei dem sie so tun, als ob sie sich um andere kümmern, führt dazu, dass sie tatsächlich irgendwann auch etwas für die anderen empfinden und Verantwortung für sie übernehmen.

Es gelingt durch das Einarbeiten und die Begleitung der Neuen mit der Weile, dass eine menschliche Verbindung geknüpft wird. Im Kern handelt sich dabei um ein stetig wiederholtes Rollenspiel. Verhalten prägt sich so immer tiefer ein. Es entsteht wie nebenbei Stolz und neues Selbstwertgefühl durch das in sie gesetzte Vertrauen, Verantwortung zu übernehmen. Stück für Stück verändert sich das eigene Reden, Denken und Fühlen. Irgendwann empfinden die Menschen es dann tatsächlich: Zuneigung und Verantwortung für Andere. Wenn neues Verhalten zur Gewohnheit geworden ist, ist die Persönlichkeit und ihre Ausstrahlung eine andere. Ein beeindruckendes Beispiel dafür, wie auch Empathie über das Training von Verhaltensmustern erlernbar ist und so tiefe Veränderungen möglich werden. Das macht Mut, dass es lohnt, all die nötigen Anstrengungen in Kauf zu nehmen.

Änderung der Haltung sollte also jedem Menschen möglich sein. Neue Gewohnheiten im Verhalten sind dafür zu verankern und zu stärken. Doch braucht es noch jede Menge mehr. Wenn ich beginne, in Beziehung zu gehen und mit anderen mitzufühlen, muss ich mit meinem Leben neu zurechtkommen. Dazu sind einige Stolpersteine aus dem Weg zu räumen.

2. Frühe Erfolge von Quick Wins einplanen

Von-Weg-Bedürfnisse (was nicht): So sind zugleich im Vorfeld schon einige Stolpersteine aus dem Weg zu räumen, die zu Stress im Veränderungsprozess führen. Bei der Delancey Street Foundation sind Alkohol, Drogen oder Gewalt streng verboten und führen zur sofortigen Übersendung ins Gefängnis. Die Teilnehmer erleben ihren ersten Erfolg, wenn sie es geschafft haben, die ersten Wochen durchzuhalten ohne Gewalt oder Drogen zu existieren. Diese frühen Erfolgserlebnisse und das Vertrauen, das in sie gesetzt wird, machen stolz und motivieren sie weiterzumachen.

Hin-zu-Bedürfnisse (was dafür): Durch den erlebten Erfolg neuen Verhaltens in der Ausbilderrolle bilden sich nach und nach neue Glaubensmuster heraus. Welche konkrete Handlungen eignen sich für diese Quick Wins? Welches Verhalten ist so anders, dass es die Chance hat, auch eine Haltungsänderung anzustoßen? Ein neues prozedural antrainiertes Handlungsmuster fühlt sich zu Beginn immer fremd, hölzern und unstimmig an, bevor es nach Dutzenden Wiederholungen zur neuen Routine wird und sich automatisiert. Bevor alte Gewohnheiten durch neue verdeckt und ersetzt werden. Doch sie werden nicht verlernt und brechen gerade unter Stress leicht wieder hervor. Gerade schnelle fühlbare Erfolge mit neuen Mustern geben daher Kraft und Energie für den Wandel. Ist es so einfach zu sagen, Empathie ist erlernbar?

Und in der Tat – nach dem ersten Hochgefühl, steht schon bald eine tiefe Veränderungskrise bevor, in der die verdrängte Vergangenheit mit voller Wucht an die Oberfläche kommt und alles in Frage stellt…

3. Erstverschlimmerung und Identitätskrise – nun braucht es gute Umsetzungsbegleitung

In dem Moment, in dem die Teilnehmer der Resozialisierung beginnen, Empathie und Gefühle der Zuneigung zulassen, geraten Sie in die Falle der Erstverschlimmerung. Verdrängte Gefühle und Bedürfnisse kommen an die Oberfläche. Sie geraten in eine Lebenskrise, weil ihnen bewusst wird, was sie anderen Menschen in der Vergangenheit angetan haben und sie verabscheuen sich.

Die Delancey Street Foundation hat ein Ritual entwickelt, um die Straftäter zu unterstützen, ihre Identitätskrise zu bewältigen. Sie führt eine Art mehrtägige Selbsthilfegruppe durch. Jeder Betroffene erzählt seine Geschichte und spricht über seine Schuldgefühle. Viele der Teilnehmer finden dort zu ihren Tränen zurück. Am Ende sind sie gefordert, sich selbst zu vergeben und als Wiedergutmachung für das alte Leben in Zukunft Gutes für die Gesellschaft zu tun. Die Erfolgsquote ist enorm. Und die Menschen strahlen die Veränderung ihrer inneren Haltung nach außen aus. Als Mitarbeiter gelten sie als freundlich und serviceorientiert. Das positive Feedback, das sie von den Kunden erhalten, stärkt wiederum ihre Verhaltensänderung.

Wenn die Teilnehmer es am Ende geschafft haben, haben sie viele Stolpersteine auf ihrem Weg überwunden. Die Wahrscheinlichkeit zu scheitern war hoch. Doch es war von Anfang an jemand da, der daran glaubte, dass der Samen auf fruchtbaren Boden fallen würde. Den Glauben an das gute Ende zu haben und zugleich der harten Realität im Hier und Jetzt ins Auge zu blicken und dann mit Mut und Geduld den Weg zu begleiten – dafür braucht es echte Führungspersönlichkeiten, die herausfordernde Veränderungen nicht scheuen. Mit diesem Resultat lässt sich zeigen: Empathie ist erlernbar für sich selbst und andere. Mittlerweile hat die Delancey Street Foundation über 18.000 Absolventen. Sie betreibt Restaurants, Umzugsfirmen, Buchhandlungen, verkauft Weihnachtsbäume. Aus den Umsätzen finanziert sich die Organisation vollständig ohne staatliche Zuschüsse.[2] 

 

[1] vgl. Groth, A.: Führungsstark im Wandel: Change Leadership für das mittlere Management, Campus Verlag; Auflage: 2 (9. März 2013), S. 147 ff.

[2] Vgl. www.delanceystreetfoundation.org mit dem Zitat des Psychiaters Karl Menninger (1893-1990) zu der mittlerweile mit Dutzenden von Preisen ausgezeichneten Organisation: “Delancey Street is an incredible mixture of pure idealism and hard practicality. It is the best and the most successful organization I have studied in the world.”


 

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