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Lerneinheit Grenzen des Wachstums – Vom Punkt des Genug für alle

von Jul 4, 2010Blogs

Gibt es für uns einen Punkt des Genug, eine Grenze des Wachstums nach dem Motto immer schneller – weiter – höher? Für mehr Zufriedenheit und die Frage: Wachstum wozu?

Grenzen des Wachstums – der Punkt des Genug für alle

Die Frage ist nicht neu. Auch nicht in Kliniken. Das jährliche Steigen der Kosten ließ sich mit der zurück gerichteten Vergütung der Kliniken seit Jahren nur durch Sparen zum einen und durch Ausweiten der Leistungen zum anderen decken. Jahr für Jahr. Die sozialen Folgen des Wachstumsdrucks sind sichtbar. In Kliniken wird immer deutlicher der Mangel „verwaltet“. Wohin wollen wir das führen? Auf welche Hoffnung und Motivation für die Zukunft setzen wir?

Rückblick 1972: Die Grenzen des Wachstums 

2022 ist es bereits 50 Jahre her, dass ein Buch den Glauben an den Fortschritt der Welt erschütterte: Die Studie von 1972 zur Weltwirtschaft „Die Grenzen des Wachstums“ im Auftrag des Club of Rome und VW. Dabei wurde die globale Wirkung von Industrialisierung, Wachstum der Bevölkerung, Unterernährung, Effizienz der Landwirtschaft, von Ausbeutung von Rohstoff­en sowie von Zerstörung von Umwelt und Lebensraum untersucht. Neben Szenarien des Crashs bei weiterem Wachstum der Bevölkerung wurden Ansätze simuliert, was zu ändern wäre, um ein ökologisches und wirtschaftliches Gleichgewicht zu erzeugen. „Die Grenzen des Wachstums“ gilt als Geburtsstunde der Umweltbewegung. Die Grünen in Deutschland nennen die Studie die initiale Zündung für ihre Partei. Bis heute lässt die Debatte zu den Grenzen des Wachstums die Menschen nicht los.

Bis heute wurden von dem Buch weltweit über 30 Mio. Exemplare in 30 Sprachen verkauft. 1973 wurde der Club of Rome dafür mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels geehrt. Die nackten Zahlen/ Daten/ Fakten haben wachgerüttelt. Der ökologische Fußabdruck der Marktwirtschaft ist zu einem Begriff geworden. Geburten- und Sterberate sind abhängig von Nahrung und medizinischer Versorgung simuliert worden. Die Industrie stellt die Technologien für Landwirtschaft und Gesundheitswesen sowie eine erhöhte Energieeffizienz bereit. Solange die Bevölkerung wächst, steigt ihr Bedarf. Das bedeutet, dass das Wachstum der Wirtschaft mit Energie und Umweltverschmutzung erkauft wird.

Szenarien, unter denen sich Weltbevölkerung und Wohlstand langfristig konstant halten, gründeten auf Maßnahmen wie Wiederverwendung bis hin zum totalen Recycling von Rohstoffen, verlängerte Nutzungen von Gütern, Erhöhung der Fruchtbarkeit der Böden in Land- und Forstwirtschaft, eine durch Technik und so g. saubere Energiequellen massiv verringerte Verschmutzung der Umwelt. Eine höhere landwirtschaftliche Produktivität, Einschränkungen im Konsum, Geburtenkontrolle u.v.m. müssten die Maßnahmen ergänzen, da im Rechenmodell selbst maximale Technologie den Zusammenbruch des Systems nicht verhindern und die Folgen des Wachstums nicht kompensieren konnte.

Weizenkornlegende

Seit 10.000 Jahren lebt die Menschheit in Dominanzsystemen. Und die Kritik an exponentiellem Wachstum ist ebenso bereits Tausende von Jahren alt.[1] Eindrücklich ist etwa die Weizenkornlegende: 

Der Brahmane Sissa ibn Dahir soll im 3. Jhd. eine Urform des Schachspiels erfunden haben, um dem tyrannischen Herrscher Shihram seinen blinden Fleck vor Augen zu führen, ohne den Zorn des Königs auf sich zu ziehen. So versinnbildlicht er, dass der König als wichtigste Figur auf dem Brett ohne Mitspieler mit der Unerschöpflichkeit möglicher Partieverläufe nichts ausrichten kann. Aus Dankbarkeit für den Schachunterricht gewährte er Sissa einen freien Wunsch. Der wünschte sich nichts als Weizenkörner: Für das erste Feld des Schachbretts ein Korn, für das zweite Feld das Doppelte, also zwei, für das dritte wieder die doppelte Menge, also vier und so weiter für jedes der 64 Felder. Der König lachte über die vermeintliche Bescheidenheit des Brahmanen.

Der Vorsteher der Kornkammer meldete dem Herrscher nach mehreren Tagen zurück, dass so viel Weizen im ganzen Reich nicht aufgebracht werden könnten. Er hatte eine Menge von über 18 Trillionen Körnern errechnet. Wenn 100 Körner im Mittel 4 Gramm wiegen, wären das etwa 730 Milliarden Tonnen Weizen, das 1.000-fache der heutigen weltweiten Weizenernte. Der Hofmathematiker empfahl daraufhin dem König, er solle Sissa ibn Dahir den Weizen Korn für Korn zählen lassen. Wenn 1 Korn pro Sekunde gezählt wird, würden für das Abzählen der Gesamtmenge fast 585 Milliarden Jahre benötigt.

Schaffte Wissen Verbesserung?

1972 schlug die Warnung vor einem Ende der weltweiten Ressourcen ein wie eine Bombe. 50 Jahre nach seiner Gründung fordert der Club of Rom weiterhin vehement die Abkehr vom Materialismus. Die Szenarien sind so nicht eingetreten, der allgemeine Wohlstand ist besser als 1972. Hat sich etwas fundamental geändert? Damals benötigte man Großrechner zur Simulation. Nur ein paar Jahrzehnte später läuft das Programm auf jedem PC. Jeder PC übertrifft heute die Möglichkeiten der damaligen Großrechner bei weitem. In der Sache aber hat sich wenig getan. Es ist kein radikaler Kurswechsel im System des Wachstums eingetreten. Das hat seinen Preis. Alle Systeme, die begrenzt sind, sind auch in ihrem Wachstum begrenzt. Sie wandeln sich vielmehr. Nur die (Neu-)Gier des Menschen scheint unbegrenzt.

Die Zukunft wartet mit gewaltigen Aufgaben auf, die von sozialen Unruhen und Umbrüchen geprägt sein werden. Sie zu meistern, wird die Aufgabe des 21. Jahrhunderts sein. Immer mehr Menschen strömen wegen Unruhen, Verwüstungen, Umweltzerstörungen und Klimawandel nach Europa. Mangel an Trinkwasser und an fruchtbaren Böden verursachen Konflikte, die Menschen in die Flucht treiben, um zu überleben. Flüchtlinge gelten dann als Problem, nicht als Chance. Für langfristige Stabilität braucht es Bildung, Innovationen und Verteilungsgerechtigkeit. Rechtspopulismus erhöht das Gefühl der Ohnmacht und schürt Angst. Das Denken in Tätern und Opfern führt weiter in die Problemfalle. Wer sich trotzdem nicht entmutigen lassen will, der braucht ein anderes Denken und muss v.a. aus dem uns scheinbar auferlegten Automatismus der stetigen Beschleunigung unserer “Speed-Gesellschaft”[2] austreten.

Hin zum Einsatz für mehr gesellschaftliche Gleichheit und die Anerkennung der Würde eines jeden Menschen. Eine individualisierte Gesellschaft löst sich aus Traditionen und Bindungen und darf nicht zu einer Gesellschaft verkommen, die nicht mehr nach dem Wozu und Wohin fragt. Wo die Ökonomie alle Diskussionen dominiert, da droht gerade das.

Verantwortung für den sozialen Wandel heute

Um aus dem Wachstumsmodell auszusteigen, braucht es ein Bildungssystem, das nicht zum Funktionieren unter Autoritäten (bzw. ihren Konsumgütern) erzieht und Menschen wie Objekte ohne eigene Bedürfnisse behandelt. Denn eine so aufgebaute Gesellschaft achtet im Kern nicht die Menschlichkeit seiner Subjekte und ihre Beziehung und Verantwortung füreinander. 2018 hat die Deutschen Bischofskonferenz ihre Studie “Raus aus der Wachstumsgesellschaft? Eine sozialethische Analyse und Bewertung von Postwachstumsstrategien” veröffentlicht.[3] Sie betont die Wichtigkeit von Leitbildern wie Suffizienz und die Tugend des rechten Maßes. Ideale für das Gemeinwohl wie Mitmenschlichkeit und Zusammenhalt sind nicht in Geld aufzuwiegen. Der Postwachstumsgedanke will die grenzenlose Gier des Menschen überwinden, um die Ausbeutung künftiger Generationen und der Schöpfung zu beenden.

Permanent steigende materielle Ansprüche, Konsumenten und Besitze führen in den Abgrund. Jede wirtschaftliche Entscheidung hat eine ethische Dimension. Der gesellschaftliche Wohlstand hat einen hohen Preis. Souverän wird man gerade nicht durch mehr Ressourcen, sondern dadurch, mit Bedacht zu haushalten. Gerade Kliniken sollten die verfügbaren Mittel so einsetzen, dass sie den Kranken helfen. Das ist eine Frage der Gerechtigkeit, der Würde und der Menschlichkeit. Wachstum ist kein Wert an sich. Die Erkenntnis darf sich durchsetzen, ohne voll Pessimismus auf die Zukunft zu blicken. Auf ein System des Geben und Nehmen, das dem besser Rechnung trägt, kann jeder mit seinen Möglichkeiten Einfluss nehmen. So können Kliniken in einer Haltung des Genug und des Teilens Orte sein, in denen menschliche Zuwendung erfahren wird und jedem destruktiven Populismus der Nährboden entzogen wird…

 

[1] In der Bibel wird – nicht ohne Bewusstsein des unmoralischen exponentiellen Zinseszinseffekts – an mehreren Stellen explizit ein Zinsverbot ausgesprochen. Ein Gedankenexperiment ist Josephspfennig: Hätte Joseph für Jesus bei dessen Geburt einen Pfennig mit Zinseszinseffekt angelegt, dann wäre der Reichtum heute ein hundertfaches der weltweiten Goldvorräte. 

[2] Heiner Keupp, aus: Keupp, Heiner (2013): Heraus aus der Ohnmachtsfalle. Psychologische Einmischungen, DGVT-Verlag, Tübingen. Dies zeigt zugleich einen Weg aus den heutigen Identitätskrisen: Weg vom Denken in Nützlichkeit, hin zur unbedingten Würde der Person. Ein Denken, das gerade dem sozialen Sektor immanent sein sollte.

[3] Die Studie der Sachverständigengruppe “Weltwirtschaft und Sozialethik” der Deutschen Bischofskonferenz unter Federführung von Professor Johannes Wallacher ist kostenlos erhältlich unter dbk@azn.de.


 

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