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Lerneinheit Prozesse II – Krankenhaus Notaufnahme

von Jun 23, 2011Blogs

Inwiefern stellt die Notaufnahme im Krankenhaus einen kritischen Faktor in der Organisation der Ressourcen dar? Wie kann damit umgegangen werden, dass dort ebenso vital gefährdete Notfälle wie Bagatellfälle eintreffen? Was trägt das Manchester Triage System bei?

 

Die Notaufnahme im Krankenhaus

Die Zentrale Notaufnahme (Rettungsstelle/ Notfallambulanz) in Kliniken ist an 365 Tagen p.a. rund um die Uhr offen für Patienten mit mehr oder weniger vitalen Problemen. Schnupfen, Herzinfarkt, schwerste Verletzungen: Jedes Jahr werden in den deutschen Notaufnahmen rund 21 Mio. Patienten versorgt – Tendenz steigend. In der Notaufnahme wird rasch über die Dringlichkeit der Behandlung entschieden, um zeitkritische Versorgungsbedarfe adäquat zu versorgen. Patienten mit mehrfachen Erkrankungen, die demografische Entwicklung, aber auch zunehmende Aggression der Patienten und ihrer Begleitpersonen stellen Herausforderungen bei der Sicherung dieser Qualität dar.

In der Notaufnahme findet häufig von Seiten der Patienten und deren Angehörige der Erstkontakt mit der Klinik statt. Die Erfahrungen dort werden mit dem privaten Umfeld und dem Niedergelassenen  geteilt und prägen so stärker als andere Bereiche der Klinik den Ruf nach außen. Positiv wie negativ. Es gibt wenige Dinge, die bei Patienten so negativ wirken, wie der Umstand, mit eigenen Sorgen und Nöten in der Krise nicht gut aufgefangen zu werden. Unerheblich ist dabei die etwaige Diskrepanz der Wahrnehmung von Patient und Fachpersonal. Die Kompetenz der Abteilung wird über Zeichen wie eine kompetente Ansprache, stetige und klare Information – auch zu den Wartezeiten – sowie durch einen empathischen Kontakt bewertet.

Dem impliziten Anspruch der Patienten können die unterfinanzierten Notaufnahmen im Krankenhaus in der Realität oft nicht wirklich gerecht werden. V.a. drei zentrale Ursachen kommen dabei immer wieder zum Tragen:  Überlastung, fehlende Refinanzierung von Ressourcen in der Notaufnahme und ein Mangel an qualifiziertem Fach-Personal. Der Schlüssel für ein besseres Management von Notaufnahmen liegt in der Lösung dieser Faktoren. Zum Risikomanagement hat sich zudem auch in Deutschland Triage-Systeme wie das Manchester Triage System (MTS) etabliert.

Patientenaufkommen in der Krankenhaus Notaufnahme

Gesetzlich ist es dem Krankenhaus ohne Hochschulambulanz in Deutschland nur dann möglich ambulante Versorgung anzubieten, wenn es spezielle Ermächtigungen besitzt oder wenn es sich bei den Patienten um akute Notfälle handelt. Durch den Ärztemangel bei den Niedergelassenen triggern Bagatellfälle das Aufkommen von Notfällen in der klinischen Notaufnahme beträchtlich – mit wachsender Tendenz. [1]

In Notaufnahmen arbeiten fast alle Fachdisziplinen des Hauses. Um die Prozesse der Notaufnahme zu strukturieren, sind Rollen und Prozesse zu klären. Die Liste der Ablauffragen sind vielfältig. Gerade eine pflegerische Triage – wie entlang des Manchester Triage Systems – leistet eine zuverlässige Erstsichtung der Patienten und filtert so Risiken heraus. Zugleich wird das ärztliche Personal entlastet. So kann eine systematische Behandlung in der Notaufnahme besser gewährleistet werden. Die Triage bietet den organisatorischen Rahmen, diverse Algorithmen und Diagnostikprofile anzukoppeln und so Prozesse zur Diagnose und Therapie abzubilden. Patienten- und Diagnosesicherheit steigen und damit die Behandlungsqualität. [2]

In der Tat weist das Patienteneintreffen im Tagesverlauf Muster auf. Muster ermöglichen es, den Personaleinsatz anzupassen und Belastungsspitzen zu glätten. Oft bilden der frühe Vormittag von 8 bis 11 Uhr und der späte Nachmittag nach dem Schließen der Arztpraxen von 16 bis 19 Uhr die Stoßzeiten in Notaufnahmen. In diesen können Flächenreinigungen, Wartungs- und Reparaturarbeiten bewusst vermieden werden. Denn besonders unangenehm für die wartenden Patienten wird es dann, wenn diese mit starkem Lärm einhergehen. V.a. in offen gestalteten Räumen.

Refinanzierung der Notaufnahme und Wartezeiten

Nachdem ein Patient die Notaufnahme des Krankenhauses betreten hat, verbringt er oft eine nicht unerhebliche Zeit mit Warten. Dies trifft auf Patienten mit Schmerzen und auf solche mit kleineren Beschwerden zu. Eine Vermeidung von Wartezeit wäre nur unter Personalüberhang zu erreichen, der gänzlich nicht finanziert ist. Wenn weder Lebensgefahr noch großen Schmerzen im Spiel sind, können Wartezeit in der Regel nicht vermieden werden.

Für die Notaufnahme ist es daher relevant, die Wartezeiten so kurz und angenehm wie möglich zu gestalten. Gerade die Wartezeit beeinflusst den ersten Eindruck des Patienten. Und für diesen gibt es bekanntlich keine zweite Chance – er prägt und ist nur mit viel Aufwand zu revidieren. Transparente Wartezonen für unterschiedliche Fachgebiete, Notfallgruppen und Stufen im Behandlungsprozess sorgen für mehr Verständnis und reduzieren so Stress. Vielerorts fehlen heute geeignete Triage- und Überwachungsräume. Dabei ist die Ersteinschätzung über die Dringlichkeit der Patientenversorgung ein Weichen stellender Schritt im Prozess des Notaufnahme.

Die Person, die die Einschätzung vornimmt, muss eine schnelle präzise Entscheidung über das weitere Vorgehen treffen und dem Patienten vermitteln, dass er in kompetente Händen ist. Unabhängig von der Dichte des Aufkommens in der Notaufnahme gilt es dabei, nicht nur offensichtliche, sondern auch potenziell gefährdete Patienten geschult zu erkennen und im Bedarfsfall die sofortige ärztliche Versorgung einzuleiten. An die Stelle gehört die beste Fachkraft. Über die Ersteinschätzung zur Behandlungsdringlichkeit hinaus ist es bei Notfällen wichtig, dass die Kommunikation über den weiteren Prozess  gut ist. Der Patient soll sich auch wenn es lange dauert gut aufgehoben fühlen, ohne Aggression aufzubauen.

Fachpersonal

Entscheidend ist das Fachpersonal in der Notaufnahme. Nachdem der Patient bereits gesichtet ist und nicht unmittelbar einer ärztlichen Versorgung zugeführt werden musste, kann er seine Daten sowie Unterschriften abgeben. Gerade in den Stoßzeiten ist es sinnvoll, dafür Experten der administrativen Aufnahme fest einzubinden, die die diffizilen verwaltungstechnischen Leistungen beherrschen, und die Pflege auf ihre Kerntätigkeiten zu fokussieren. Die Abrechnung am Ende des Prozesses dankt es. 

Die gemeinsame Leitung durch einen Notfallmediziner und einer pflegerischen Leitung, ist gerade hier ein wichtiges Kapital der Klinik. Leider nur gibt es darüber hinaus für Ärzte kaum Anreize, sich voll und ganz in der Dienst den Notaufnahme zu stellen. So ist dies zumeist ein Bereich, der „nebenbei“ mitabgedeckt werden muss. Und so gestaltet es sich: Die Notfallambulanz ist einen relevanten Teil ihrer Zeit damit beschäftigt, Ärzte von den Stationen etc. abzurufen.

Unterfinanzierte ambulante Notfälle in Kliniken

2014 wurde von der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) und der Deutschen Gesellschaft für interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin (DGINA) ein “Gutachten zur ambulanten Notfallversorgung im Krankenhaus” beauftragt. In einer aufwändigen Kostenträger Kalkulation konnten dabei erstmals harte Zahlen für die Unterfinanzierung der bei der KV abgerechneten ambulanten Notfällen in Kliniken ermittelt werden. Das Ergebnis auf Basis der 55 Kliniken, die sich an der Studie beteiligt haben, spricht für sich: im Mittel 126 € Kosten pro Fall (ohne Investitionen) stehen etwa 32 € EBM Erlöse gegenüber. Hochgerechnet auf alle Kliniken bedeutet dies ein Mrd. Defizit der ambulanten Notfallversorgung.

Zugleich ist steigt die Zahl der in der Klinik behandelten ambulanten Notfälle stetig um mehrere Prozent pro Jahr. 2012 – 2013 weist das Gutachten eine Steigerung von 6% aus, bei den gesetzlich Versicherten sogar von 9%. Als Erklärung weist es auf eine Lücke durch die Bereitschaftsdienste der KV. Diese decken bei der Mehrheit der Kliniken weniger als 50% der sprechstundenfreien Zeiten der Arztpraxen ab.

Im Ergebnis sollten 33% der ambulanten Fälle der Kliniken so im vertragsärztlichen Bereich der KV bedient werden. Wenn diese im Krankenhaus vorstellig werden und die klinische Notaufnahme sie nicht an den Notärztlichen Dienst übergeben kann, dann muss die Klinik die Lücke für die KV füllen. Kliniken versorgen so bereits mehr ambulante Notfälle als die niedergelassenen Ärzte. Um das Defizit zu schmälern, braucht es in der Notaufnahme ein stringentes Management der Schnittstellen (KV-Bereitschaft, Aufnahmeeinheit), präzise Dokumentation und Abrechnung.

Ein Spagat – Akutversorgung und Massenanfall von Bagatellen

Der wirtschaftliche Beitrag der Notaufnahme bildet sich als Anteil an den stationären Fallpauschalen ab. Sowie am Management der Kosten der Klinik. Indem Patienten in der Notaufnahme durch kompetente Diagnostik und Therapieentscheidung effektiv auf den Behandlungspfad gesetzt werden, werden Doppel- und Nacharbeiten in den Kliniken vermieden. Die Kunst besteht darin, zwischen der Masse an Bagatellen den akut kritischen, Notfall mit sofortigem Interventionsbedarf nicht zu übersehen. In der Notaufnahme werden darum die Weichen für die klinische Behandlung gesetzt. 

Den Ansturm medizinisch und organisatorisch zu bewältigen, ist irre. Unnötig lange Behandlungen und eine unzureichende Ansprache verärgern und verunsichern den Patienten im Moment, in dem er fachlich kompetente Anlehnung sucht und organisatorische Defizite findet. Das  „Positionspapier für eine Reform der medizinischen Notfallversorgung in deutschen Notaufnahmen“ von Riessen et. al. – mit Unterstützung der DIVI, DGIIN, DGAI, DGCH und DGINA – liefert eine umfassende Vorschlagsliste für eine überfällige Reform der medizinischen Versorgung in Notaufnahmen.

Adressiert an BGM, Sozialministerien der Länder, Landkreise und Gemeinden, Krankenkassen und InEK, KV’n, Ärztekammern und Fachgesellschaften. Der Appell ist auch an Kliniken zu verstehen, in personelle, räumliche und apparrative Ressourcen und in die Weiterbildungen in der Notfallmedizin zu investieren.

Die Notaufnahme – Dreh- und Angelpunkt der klinischen Patientensteuerung

Nicht zuletzt müssen Notaufnahmen systematisch ins Management der Belegung der Klinik integriert sein. Die Steuerung der Patienten lässt sich nur interdisziplinär, -professionell und -sektoral lösen. Patienten ohne stationäre Indikation werden heute nicht kostendeckend in der Klink abgebildet. Da hilft wenig, dass die Behandlung einfacher ambulanter Fälle mit den Ressourcen eines Krankenhauses von den Kostenträgern nicht gewünscht ist, wenn die KV’n keine Alternativen bereit stellen. Fakt ist, dass diese Fälle über 50% des Aufkommens einer klinischen Notaufnahme ausmachen. Ohne ärztlichen Behandlung darf seitens des Haftungsrechts kein Patient weggeschickt werden. Dass Kliniken dann Stunden an Wartezeiten für diese Patienten in Kauf nehmen, ist ökonomisch nachvollziehbar. Dass das Stressniveau für Patienten und in der Folge auch für das Personal hoch ist, ebenso. Die staatliche Anerkennung der Fachweiterbildung Notfallpflege ist da ein wichtiges Zeichen. 

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[1] 2005 bis 2010 wurde eine Steigerung um 16,6 %, d. h. um 2,5 Millionen Fälle, auf nunmehr 16 Millionen verzeichnet, die in Deutschland in einer Notaufnahme behandelt wurden. Das entspricht fast einem Viertel der Gesamtbevölkerung. Gründe sind vielfältig: Veränderung der Altersstruktur in der Gesellschaft, Wegfall von Arztpraxen in ländlichen Regionen, steigendes Gesundheitsbewusstsein und Aufklärung. Vgl. etwa Pressemitteilung des Universitätsklinikums Aachen.

[2] Vgl. Mackway-Jones, K. et. al. (4. Aufl., 2018): Ersteinschätzung in der Notaufnahme: Das Manchester–Triage–System, Hogrefe Verlag, Bern.


 

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