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Die Kakerlake: Wie Denkmuster in Denkgefängnisse führen

von Jun 18, 2019Impulsgeschichten

Das Experiment mit der Kakerlake zeigt, wie uns Denkmuster hindern, neue Lösungen zu finden.

Denkmuster im Tierversuch von Gerald Hüther

Prof. Dr. Gerald Hüther, bekannter deutscher Neurobiologe und beliebter Redner, erzählt in seinen Vorträgen (vgl. u.a. Vortrag hier) gerne von einer etwas ekligen Erfahrung als junger Wissenschaftler: Damals glaubte die Forschung, dass durch Lernerfahrungen im Gehirn ein neues Eiweiß gebildet wird – das Gedächtnismolekül. Dessen Existenz wollte Gerald Hüther seinerzeit in einem Tierversuch nachweisen.[1]

Dazu wurden Küchenschaben genutzt. Immer wieder wurden Kakerlaken in ein Gestell gespannt, unter dem eine Schale mit Salzlösung stand, die mit einer Batterie verbunden war. Wenn sie ihre Beine hängen ließen, bekam sie einen Stromschlag. Nach ein paar Impulsen behielten sie ihre Beine oben. Spannte man sie dann aus und später wieder ein, behielten sie die Beine sofort oben. Sie hatten also gelernt, welches Verhalten für sie gut war. Die Forscher sezierten das Gehirn der Schaben aus dem Experiment und verglichen es mit dem Gehirn von Kakerlaken, die nicht konditioniert wurden. Doch auch nach zwei Jahren ließ sich die Existenz des Gedächtnismoleküls nicht nachweisen. 

Dann kam eines Tages eine studentische Hilfskraft mit einer Beobachtung anderer Art: Nachdem der Schabe der Kopf abgeschnitten war, lebt der Körper noch ca. 30 Minuten. Der Student spannte den Körper ohne Kopf in das Gestell und siehe da: auch ohne die Kontrolle des Kopfes zog der Körper die Beine an. Das Lernen hatte wohl gar nicht im Gehirn stattgefunden, sondern im Bauchmark (Ganglien). Die Konditionierung hat sich direkt im Körpergedächtnis abgespeichert! Kein Wunder also, dass im Gehirn der Kakerlake nichts zu finden war. Die Wissenschaftler waren so gefangen in ihren Denkmustern, dass sie andere Beobachtungen einfach ausblendeten.[2] Anders der Student, der noch nicht so fest in den Denkkonstrukten verhaftet war und nicht beweisen musste, dass er Recht hatte. Er war noch offen, auch andere Dinge wahrzunehmen. Er schaute nicht nur auf Kopf und Gehirn, sondern auf die ganze Schabe. 

Wenn Denkmuster der Experten in Denkgefängnisse und zu Betriebsblindheit führen

Das Beispiel zeigt, wie sehr uns Denkmuster einengen können, neue Lösungen zu finden. Alles, was die bestehende Meinung erschüttern könnte, blenden wir in unserer selektiven Wahrnehmung einfach aus (Phänomen des Aufmerksamkeitsblinzeln). Je mehr wir emotional Recht haben wollen, desto enger schränkt sich die Wahrnehmung ein. Sich selbst immer wieder frei davon zu machen und die eigenen Annahmen zu hinterfragen, ist gar nicht so einfach. Hier braucht es in der Tat andere Menschen, die noch nicht so tief verstrickt sind und mit frischem Blick von außen anders auf die Gegebenheiten blicken. Doch das hilft nur, wenn wir uns auch darauf einlassen und uns irritieren lassen. Wenn wir offen bleiben, dass wir immer auch andere Blickwinkel einnehmen können. Wenn wir der Idee folgen, dass trotz aller klugen Überlegungen unsere Wirklichkeit auch ganz anders sein könnte… 

Um J.W. von Goethe zu zitieren: „Es irrt der Mensch, solang er strebt“.

Menschliches Erkennen ist anfällig für Fehler, wenn wir unsere Denkmuster nicht immer wieder stören lassen. Alltag und die Geschichte der Wissenschaft sind voll von Irrtümern, dem Denken mit Scheuklappen und vorschnellen Schlüssen. Was da hilft, ist nicht nur immer wieder zu hinterfragen. Sondern auch einfach, ein bisschen mehr über sich zu lachen. Lachen widersteht dem Verabsolutieren von Positionen, Grundsätzen und Prinzipien. Lachen schafft emotionale Distanz von sich selbst und befreit dazu, sich neue Sichten und Optionen zu verschaffen. 

 

[1] Tierversuche in der Wissenschaft wurden zu der Zeit ethisch noch weniger kritisch gesehen als heute. Das erste deutsche Tierschutzgesetz wurde 1933 verabschiedet. Obwohl ideologisch propagiert, wurde der Tierschutz im Nationalsozialismus ökonomischen Zielen untergeordnet. Erst 1972 entstand das Tierschutzgesetz als ein ethischer Tierschutz, bei dem tatsächlich das Wohl des einzelnen Tieres im Vordergrund steht. Es fordert, u.a. Tierversuche auf ein “unerlässliches Maß” zu reduzieren ohne das jedoch genauer zu präzisieren. Notwendig ist eine Güterabwägung, ob die Interessen des Menschen in einem angemessenen Verhältnis zum Leiden der Tiere stehen. In der medizinisch-biologischen Forschung ist heute ein genaues ethisches Abwägen und die Suche nach Alternativen, die Tierversuche in Forschung und Lehre überflüssig machen, gefordert. 2002 wurde der Tierschutz auch in das Grundgesetz aufgenommen, um ihm mehr Gewicht zu verschaffen.

[2] Dazu passt auch das U-Bahn Experiment eines Stargeigers. 

Es gilt, nicht der Gefahr des Ja-Aber-Spiels und damit dem Austausch von Argumenten zu verfallen, wenn man die Bedürfnisse auf den Tisch bringen will. Sondern selbst geklärt, die eignen Bedürfnisse einen Moment hinten anzustellen und die Bedürfnisse des andern empathisch in den Blick zu nehmen. Um sich aufrichtig mitteilen zu können, ist zunächst Empathie für die Bitte zu geben. So dass der Bittende die Sicherheit bekommt, gesehen und gehört zu werden. Zu zeigen, dass man die Bitte gehört hat und welche empathische Vermutung zum Wozu – als Frage oder Konjunktiv formuliert – man dazu hat.

 

7. Niemand kann Empathie geben, bevor er nicht selbst Empathie bekommen hat

Eine konkrete Bitte ist eine Strategie, die zunächst die Bedürfnisse des Fragenden in den Blick nimmt. In der GFK ist die Bitte nur verstehbar, wenn sie in Zusammenhang mit den dahinter stehenden Gefühlen und Bedürfnissen geäußert wird. Wer eine Bitte äußert will etwas ändern. Die Gewaltfreie Kommunikation kennt unterschiedliche Arten von Bitten auf Ebene der Strategie. Ihr Fokus liegt dabei darauf, in Verbundenheit miteinander zu sein.

  • Handlungsbitten: sind Bitten um eine bestimmte Handlung oder um ein inhaltliches Feedback (oft um zu schnellen Lösungen zu kommen)

  • Beziehungsbitten: sind Bitten um eine einfühlsame Reaktion, um eine Mitteilung, was beim anderen angekommen ist oder wie es ihm damit geht, was er dabei empfindet. Es geht dabei als darum, dem Fühlen Raum zu geben.

Es git zunächst, das Bedürfnis des Bittenden hinter seiner Bitte genauer zu ergründen. Emphatische Vermutungen dürfen dabei nicht auf Gedanken abstellen, sondern das Fühlen adressieren. Schnell werden im Eifer des Gefechtes Gefühle mit Gedanken oder gar Vorwürfen verwechselt. Das aber zerstört jeden Kooperationswillen. Selbst wenn eine Handlungsbitte geäußert wurde, kann es sein, dass der Anfrager das Nein nicht in der Sache, sondern (1.) auf der persönlichen Ebene hört, als Absage an die Beziehung. Und dass er (2.) so in seine Bedürfnisse verstrickt ist, dass er kein Ohr für die Antwort hat und ein Nein (noch) nicht empathisch hören kann. Dann war die Fähigkeit offen mit einer Antwort umgehen zu können, nicht gegeben.

Eine echte Bitte im Dialog muss mit einer offenen Entscheidung – ja oder nein – umgehen können, sonst ist es keine. Dann braucht der Antwortende nicht mit einem Nein und seinen Bedürfnissen anfangen. Vielmehr gilt es nun erst einmal, um die Beziehung zu halten, die eigenen Bedürfnisse einen Moment zu parken und die Bedürfnisse hinter der Bitte in den Blick zu nehmen. Der Bittende braucht so lange Einfühlung, bis er sich entspannt hat. Die Zeit zum Nachspürenlassen, ob es im Hier und Jetzt gut ist, Zuhören, Raum halten. Wenn der Bittende in seinen Konflikt nicht so reflektiert ist, sich selbst Einfühlung zu geben, braucht er die Empathie des Zuhörers.  Sich auf der Ebene seiner Bedürfnisse gehört zu fühlen, lässt spüren, dass ich dem anderen wichtig bin. Menschen sind oft erst in der Lage, empathisch auf die Bedürfnisse anderer zu reagieren, wenn sie selbst Empathie bekommen haben.

 

8. Empathisch Zuhören bevor man sich aufrichtig mitteilen kann

Marshall B. Rosenberg erkannte: „Empathisch mit dem Nein des anderen zu sein, schützt uns davor, es persönlich zu nehmen.“ 

In der GFK gibt es keine Abkürzung als sich in die Bedürfnisse beider Seiten einzufühlen. Das ist das, was in Menschen lebendig ist. Ein Ansatz Nein zu sagen und gleichzeitig in der Verbundenheit zu bleiben, ist daher, nicht nur das eigene Nein gut zu erklären, sondern sich auch die Zeit zu nehmen, eine andere Strategie im Hier und Jetzt mit dem Anfrager zu entwickeln. Solange gemeinsam einen Weg zu erkunden, wie die dahinterliegende Bedürfnis beider Seiten erfüllt werden können. Immer wieder offen nachfragen, was der andere verstanden hat, wie es ihm damit geht und was er braucht. Hier sind mitunter mehrere Runden zu drehen, die gegenseitigen Bedürfnisse zu spiegeln und eine gemeinsame Synthese zu finden. Diese Aufarbeitung im offenen Dialog kann Zeit benötigen, die nicht immer da ist. Sie hat das potenzial die Verbundenheit trotz des initialen Neins zu stärken.

Auf Ebene der mit der Bitte vorgeschlagenen Strategie gibt es kein Commitment. Das muss aber nicht heißen, dass es keine andere gemeinsam getragene Lösung gibt. So gesehen bleibt es beim autonomen Nein zur anfänglichen Bitte, die nicht für beide Seiten stimmig ist. Aber der Dialog endet immer mit einem Ja zur Verbindung  durch achtsame Anerkennung der Bedürfnisse aller Seiten. Im dialogischen Austausch selbst liegt dann eine neue tiefe Beziehungerfahrung. Statt im Widerstand und In Negativität zum Nein bzw. zur Bitte zu sein, wird kein Leid erschaffen, sondern es entsteht eine höhere warme Herzensenergie, indem beide miteinander mit ihrer Lebendigkeit in Kontakt kommen.

 

9. Umgang mit Blockaden

Gehört zu werden im Anliegen schafft Öffnung auch für Anliegen des anderen. Selbst wenn ich diese Verbundenheit will, sich gegenseitig in seinen Bedürfnissen zu sehen und Lösungen zu finden, ist das nicht immer sofort möglich:

  • Ich bin selbst nicht in meiner Kraft und in der Lage mich auf den Klärungsprozess einzulassen. 

  • Man hat sich in ein Ja-Aber-Gefecht mit Urteilen, Drohung, Schuldvorwürfe und Urteile so- verfahren, dass im Moment nicht auf die Ebene der Bedürfnisse vorzudringen ist. Obwohl im Grunde jeder nur darum kämpft, mit seinen Bedürfnissen gesehen zu werden.
  • Die Beteiligten brauchen Zeit zum Nachspüren, bevor die gemeinsame Lösung sich entwickeln kann.

Bei solchen Blockaden hilft erst einmal der Ausstieg aus der Situation mit ehrlichem Bedauern und Dankbarkeit für die Ehrlichkeit. Für den Moment tritt jeder für sich ein und man lässt die Differenz stehen ohne sie persönlich zu nehmen. Ein Wiederanschließen ist dann leichter zu einem späteren Zeitpunkt aus Distanz zu den kraftraubenden Emotionen möglich. 

Die Aufrichtigkeit des Neins braucht Empathie für beide Seiten. Das gibt die Sicherheit, einander zu hören und anzuerkennen. Dahinter steck eine enorme Kraft der Verbundenheit: Die Bedürfnisse werden ins Leben geholt und schaffen lebendige Beziehungen. In dieser Haltung fließt jedes Einstehen für sich selbst letztlich sogar in eine Vertiefung der authentischen Verbindung zwischen Menschen.

So steht am Ende der Bitte das Danke.

    [1] Ein authentisches Anschauungsbeispiel ist die Milchtütenbitte von Iris und Jürgen. Im langsamen Dialog mit laufender Rückkopplung an die Bedürfnisse beider zeigen sie, wie es gelingt, die eigenen Bedürfnisse und die Reaktanz des anderen darauf anzusprechen und – in der Haltung, gegenseitig verbunden bleiben zu wollen und sich die Zeit zu nehmen- die Beziehung in der Akzeptanz der gegenseitigen lebendigen Bedürfnisse zu vertiefen. Die Kunst ist, keinen Vorwurf zu hören, sondern die Selbstkundgabe.

    [2] Axiom der GFK: Bedürfnisse sind universal gültig, insbesondere unabhängig von Person, Zeit und Ort, sonst sind es Strategien.


     

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